Die Hebung eines steinernen Schatzes
Bürgermeister Volker Bartl hatte eine Idee, die Zuspruch, Erstaunen, Anerkennung oder Ablehnung verursachte. Der größte Stein von Altentreptow, zugleich größter Festlandfindling Norddeutschlands, war in seiner Gänze doch gar nicht richtig zu bewundern… aber wenn er zu sehen sein würde, dann würde der Große Stein bestimmt eine Menge zahlungskräftiger Touristen anlocken. Der gehobene Stein, der in der letzten Eiszeit von der Insel Bornholm an den Fuß des Klosterberges geschoben wurde, dieser riesige Granitstein würde Treptow a Toll schlagartig zum touristischen Nabel von Mecklenburg-Vorpommern machen. Was fehlte, war in einer Zeit klammer Kassen, wie immer das liebe Geld. Für die Hebung des Steines wurden ursprünglich 180.000 € veranschlagt. Viele haben damals kopfschüttelnd gelacht, keiner hat so richtig an die Bürgermeister- Vision geglaubt. Dann aber stellten Vorpommern-Fond und Strategiefond insgesamt 140.000 € zur Verfügung, der Rest des Geldes kam durch die Stadt Altentreptow und eine große Spendenaktion zusammen. Die Kosten explodierten „unerwartet“ auf 260.000 €. Der Bund der Steuerzahler setzte den Stein von Altentreptow in sein gefürchtetes Schwarzbuch. Erst am Morgen der Hebung sollen die letzten Euros bewilligt worden sein.
Die ehemalige Kreisstadt Altentreptow hatte früher einen Tierpark, eine Badeanstalt, ein Kleiderwerk, das Käsewerk mit seinem berühmten Tollenser und den amtierenden WBC- Mittelgewichts-Weltmeister(2011) Sebastian Zbik. Das alles ist vergangen, ist jüngere Geschichte und so versank das schöne Städtchen im Dornröschenschlaf der Bedeutungslosigkeit. In der Gesamtgemengelage geht es also nicht nur um einen großen Stein, sondern auch um ein zukunftsfähiges, touristisches Gesamtkonzept, welches die Stadt Altentreptow lebenswerter macht. Für gut 1,3 Millionen Euro wurde und wird das gesamte Klosterbergareal umgestaltet- klar, dass bei diesen Summen auch Fördergelder fließen. Um Platz für ein parkähnliches Areal zu schaffen, wurden viele Gärten des 1922 gegründeten Kleingartenvereins „Fritz Reuter e.V.“ abgerissen. Auch darum hat das zentrale Vorhaben- die Hebung des Großen Steines- nicht nur Befürworter.
Die Idee nahm Form an und konnte auf Grund des nun vorhandenen Geldes in eine kühne Tat umgesetzt werden. Aber wie, nur wie, stellt man es nun an ? Gemacht hatte so etwas noch niemand… einen richtig schweren Stein hochheben.
Anfänglich wurde die Hebung des Großen Steines mit einem Kran geplant. Jedoch um den Stein mit seinen 360 Tonnen in jeder Situation und mit entsprechender Sicherheitstoleranz zu heben, verwiesen Fachleute darauf, einen 1500 Tonnen-Kran zu benötigen. Für diesen Giganten hätte man alleine zum Aufbau einen weiteren, richtig großen Kran, benötigt. Hinzu käme eine Schwerlastfahrspur mit entsprechendem Wendekreis für die Großfahrzeuge…. und selbst, wenn die bestehende viel zu schmale Straße umgebaut werden würde, ja dann müssten doch so einige Bäume gefällt werden, damit der Kranausleger Hebefreiheit hat. Mit dieser Art des Steinehebens hätte das Geld nie und nimmer gereicht… das Geld wäre schon alle, bevor der Kran überhaupt gekommen wäre.
Dann stand der Bauzaun und es ging mit den Vorbereitungsarbeiten los.
Stets schauten Zaungäste neugierig nach dem rechten; immer stand irgendein Betrachter am Stein, der alles besser wusste, wichtig gestikulierend seine Expertise abgab, während seine „ungebildeten“ Zuhörer ehrfurchtsvoll staunten und weiter weg stehende Besucher neugierig ihre Ohren spitzten. Die Eingeweihten verließen stets zufrieden das Baufeld in alle Landesrichtungen und verbreiteten ihr neues Wissen über die Geschichte des Großen Steines bis in den entlegensten Winkel unserer Bundesrepublik… waren Sie schon mal in diesem Teil der Welt, in Altentreptow?
Fast täglich machte der Bürgermeister Bartl seine Stippvisite am Stein, fachsimpelte mit Bauarbeitern und Bürgern- wie gehts voran?
Der Stein wurde mit Baggern rings herum ausgebuddelt. Mit zwei großen blauen Pumpen wurde das Grundwasser abgesenkt, so dass die Baugrube mit der Zeit trocken gelegt wurde. In Altentreptow, das wissen die Einheimischen, steht das Grundwasser sehr, sehr hoch. Obwohl einige alte Häuser beeindruckende Gewölbekeller besitzen, sind selbst in Berglagen die meisten alten Stadthäuser ohne Keller gebaut worden. Doch zurück zur Hebung!
Eigens für den Hebevorgang wurden speziell gefertigte Schwerlastgurte unter dem frei gelegten Stein hindurch gefädelt. Anschließend wurde rechts und links ein Betonfundament gegossen.
Für den Hebevorgang wurden auf die gegossenen Fundamente gute alte DDR-Straßenplatten, in 4 Stapeln, jeweils 13 Platten an der Zahl, übereinander gekrant. Darauf wurde eine stählerne Hebekonstruktion gelegt und anschließend die Gurte in riesigen Schäkeln befestigt.
Es gibt Augenblicke, die kommen nicht wieder. So ein Tag war heute (06.05.2021)- Radio, Fernsehen, Zeitung und Internet lockten eine riesige Zuschauermenge an den Ort des Geschehens. In der näheren Umgebung herrschte akute Parkplatznot. Der Bauleiter und danach der Bürgermeister wurden interviewt, überall tummelten sich Fernsehteams und Reporter. Etwas unbeachtet betätigte Bürgermeister Bartl symbolisch einen Knopf oder Hebel( ich stand abseits des Geschehens) und fast unmerklich, Millimeter um Millimeter startete der Hebevorgang.
4 gelbe 800-Tonnen-Hydraulikstempel drückten Hebekonstruktion mit dem angehängten Stein nach oben. Warum 800-Tonnen-Stempel, wo doch der Stein nur 360 Tonnen wiegt? Nun, stellen Sie sich, lieber Leser, einmal vor, Sie wären mit Gummistiefeln im Morast versunken und wollen ihre Beine mit den Stiefeln nach oben rausziehen… geht das einfach? Nein! Und vor diesem Augenblick hatten die Aktiven vor Ort großen Respekt. Damit der Stein in den Hebegurten nicht in Schwingungen kam, wurde mit Radladern Kies und Schotter in den frei werdenden „Hubraum“ gekippt. Ein Hebevorgang drückte den Stein mit Hebegurt ca. 12,5 cm in die Höhe. Anschließend wurde um die glänzenden Hydraulikstempel 12 cm hohe Doppel-T-Träger gelegt und die Druckplatte abgelassen. Dann wurden die Hydraulikstempel eingefahren und die Druckplatte stand nun auf den äußeren Doppel-T-Trägern. Da die Duckplatte an ihren Außenseiten kleine Füße hat, konnten anschließend die fehlenden Doppel-T-Träger von den Monteuren bündig in die entstandenen Löcher eingeschoben werden. Nun begann der Vorgang von neuem: Die Hydraulikstempel drückten alles hoch, T-Träger wurden drunter gelegt,die Druckplatten wurde abgelassen, der Hydraulikstempel eingezogen, die Löcher mit den fehlenden T-Trägern verfüllt. Die Hebetürme wurden sozusagen von oben nach unten gebaut. Ein Hebevorgang dauerte ungefähr 15 Minuten. Aufmerksame Beobachter kamen ins Grübeln- unter der Last des Großen Steines bogen sich alle DDR-Straßenplatten, es zeigten sich Risse. Aber die Gewissheit war groß, dass die guten alten DDR-Platten ihren Zweck erfüllen, schließlich wurde mit solchen Straßenplatten früher Baustraßen angelegt, so dass auch ein großer Kras WBS70-Fertigteile liefern konnte. Nach 9 Hebevorgängen rief dann der Hebezeugführer:„“Mittag!“. Buchstäblich alle Bauarbeiter ließen ihren Hammer fallen und gingen an der eigens für das Publikum errichteten Imbissbude zu Tisch.
Ein Großteil der Zuschauer entfernte sich vom Geschehen- man hatte all das, was man sehen wollte, gesehen.
Heute(6.5.2021) wurde der Stein um insgesamt um 2 Meter angehoben. Die immer höher wachsenden 4 Doppel-T-Träger-Türme wurden mit Bauklammern fixiert und vorm umkippen gesichert. Am 7.Mai sollte nochmals 1 Höhenmeter dazu kommen. Das Heben funktionierte problemlos. Doch je dichter man sich den geplanten 3 Metern näherte, um so merklicher wackelten die 4 Doppel-T-Trägertürme beim ablassen des Steines. Aus Sicherheitsgründen stoppten Bauleiter und Hebezeugführer den Hebevorgang bei 2,90 Metern. Im Schwebezustand wurde der Stein amtlich vermessen und gewogen: Er hat ein Gewicht von 465 Tonnen- deutlich mehr, als auf dem alten Info-Schild geschrieben stand. Am Abend wurde dann auch das Loch unter dem Stein mit Beton verfüllt. Auf die ausgehärtete Betonblase wird der Stein abgesenkt. Ich habe gehört, dass alles mit Erde verfüllt wird, so dass vom Betonfundament nichts mehr zu sehen ist…. aber ganz ehrlich und Hand aufs Herz: Bin ich nicht auch nur ein Zaungast mit meiner eigenen Expertise?
Bürgermeister Bartl und die Stadt Altentreptow haben trotz heftigen Gegenwindes eine Vision Wirklichkeit werden lassen und sich damit ein steinernes Denkmal geschaffen. Die Resonanz am Tag der Hebung war phänomenal. Die technische Ausführung ist auf ein großes positives mediales Echo getroffen, denn wo in der ganzen Welt wurde so etwas schon mal gemacht?