Zwei ungleiche Schwestern, Rethra und der Wendenkönig

Rundwanderung Wustrow

Wustrow, der Ausgangspunkt unserer Wanderung, ist ein autofahrerfeindliches Dorf: es gibt weit und breit keinen vernünftigen Parkplatz, selbst außerhalb des Ortes. Darum beginnen wir heute unsere Wanderung direkt am Wustrower Bach, unmittelbar am Ortseingang von Wustrow. Wir wandern hinunter zum Badestrand und genießen einen der schönsten Tollensesee-Blicke. Richtig zauberhaft wird es nach einem schönen Sommertag, zur blauen Stunde. Dann lassen Schatten und Licht die alten Sagen, Mythen und Überlieferungen vom untergegangenen Wendenreich und dem Tempel von Rethra auferstehen. Bei Ausgrabungen wurde ein doppelköpfiges Idol auf der Insel gefunden. Auch Reste einer Holzbrücke wurden entdeckt. Der letzte Inselbewohner war der Rethraforscher Hartmut Boek. Er entdeckte im Schilf eine ungewöhnliche Rechteckform( das Schilf wächst im Frühjahr manchmal in einer Rechteckform erst verspätet zu) und vermutete dort einen kultischen Bau. Lag hier der Slawentempel Rethra? Rethra wurde nicht gefunden, doch die Wustrower sind sich in dieser ungeklärten Frage einig: Rethra muss auf der Fischerinsel liegen! Historische Überlieferungen und Reisebeschreibungen sind jedoch nicht mit geografischer Lage und Bauform von Wustrow deckungsgleich. Rethra wurde im Laufe der Jahrhunderte schon in Ratzeburg, Feldberg oder bei Dargun gesucht- wo lag Rethra wirklich? Stark vermutet wird der Tempel inmitten der Lieps. Im Naturschutzgebiet Nonnenhof wurden jedoch aus Naturschutzgründen bisher keine systematischen Ausgrabungen durchgeführt, so dass vieles ungeklärt bleibt. Fakt ist, dass vereinte Slawenstämme im Jahre 983? von Rethra aufbrachen und sogar Hamburg niederbrannten. Wir schauen hinüber auf die Fischerinsel und sehen keinen Tempel, sondern ein uraltes Fachwerkhaus. Das Fischerhaus ist eins der ältesten Gebäude der Stadt Neubrandenburg( schon 1729 in Ratsprotokollen erwähnt) und verfiel, weil es die letzten 20 Jahre nicht genutzt wurde. Kurz vor dem Zusammenbruch wurde die historische Bausubstanz 2021-2022 durch Bauarbeiten notgesichert. Bund der Steuerzahler, Naturschützer, Historiker, Architekten und Politiker versuchen, jeder aus eigenem Interesse, die Deutungshoheit zu gewinnen. Ich bin der Meinung, das Haus sollte von Grund auf rekonstruiert werden und durch Naturschützer (z.B. Vogelwarte) genutzt werden. Wir queren den Bach und gelangen zum Hafen. Seine Geschichte und die Entstehung der Kanäle in die Lieps sind mit Ziegelherstellung und Torfgewinnung verbunden. Das Hafenbecken bzw. der Kanal wurde 1886 gebaut. Damals (19. Jahrhundert) gab es in Wustrow 2 Ziegeleien, eine Mühle und eine Kerzenmanufaktur. Wustrow , ein spätslawisches Siedlungszentrum, ist sehr alt. Die Burg wurde 1170 in der Gründungsurkunde des Klosters Broda schriftlich erwähnt. Aus der Wustrower Gegend soll schon damals das Baumaterial für die Neubrandenburger Marienkirche( heute Konzertkirche) gekommen sein und auf Schuten am Ufer des Tollensesees entlang getreidelt worden sein. Zurück im Jetzt, machen wir ein kleines Päuschen an der „Futterkrippe“. Hier gibt es von Kaffee über Bockwurst bis hin zum Bier alles, was Wanderer und Radfahrer begehren. Erstaunlich, dass selbst im Februar (an Wochenenden) geöffnet ist. Gestärkt geht es zum nächsten Wanderziel- zu den Sundome-Ferienhäusern. Die Kugelhäuser werden aus ökologischen Naturmaterialien- Holz, Lehm und Seegras gefertigt. Die Prototypenentwicklung der ungewöhnlichen Häuser begann hier am Tollensesee- heraus kam die Ferienhaussiedlung „VenusZauber“. Ein wirklich interessantes und ungewöhnliches Projekt. Ich bleibe jedoch bei meiner Kritik anfänglich meines Wanderberichtes- auch hier bekommen Autos wenig Platz, hinzu kommt eine viel zu dichte Bebauung und fehlende großzügige Tobemöglichkeiten für Kinder. Wir verlassen auf dem einzig möglichen Weg, über Wiesenweg und Mühlendamm, die Ortschaft Wustrow und sind sofort inmitten der Natur. Imposante Kranicherufe hallen ans Ohr des Wanderers. Wir schauen auf eine weite Wiesenlandschaft, während die andere Wegesseite vom Wustrower Hügelgrab landschaftlich geprägt wird. Bald erreichen wir das Naturdenkmal „Zwei ungleiche Schwestern“. Eine Buche umschlingt mit Ihren Ästen eine mächtige Eiche. Die Bäume sind miteinander verwachsen. Leider haben vergangene Stürme der Buche arg zugesetzt. Wir genießen das einzigartige Ensemble und saugen die Aura der ehrwürdigen Baumriesen in Symbiose mit dem verwunschenen Waldtümpel in uns auf. An dieser Stelle erkennt man gut den Weg des Wassers: Regenwasser und schmale Rinnsale füllen Senken mit Wasser auf. Sie bilden temporäre Speicher. Baumkronen schützen das Nass vor der Verdunstung. Ab einem bestimmten Füllgrad läuft das Wasser über unzählige Rinnsale, Fließe und Bäche, manchmal auch durch Moore bis zum Tollensesee hinab. Der Tollensesee wird nicht nur aus Quellen und Bächen gespeist, sondern er bekommt sein Wasser auch aus unzähligen unterseeischen Quellen. Darum nimmt der Pegel des Tollensesees selbst während größter Dürren nie gravierend ab. Hinter den zwei ungleichen Schwestern führt unser Wanderweg zu einer Gabelung- wir wandern nach rechts in den Wald. Verlaufen können wir uns nicht- es gibt nur diesen einen Weg. Allerdings ist unser von Treckern und Waldmaschinen genutzter Weg auf keiner Karte verzeichnet. Bergauf, bergab und irgendwie zurück sollten Unkundige auf keinen Fall in Panik verfallen. Erneut gabelt sich der Weg- wir halten uns erneut wie immer rechts (ist ja auch logisch, weil wir nach Wustrow zurück wandern). Ein Reh kreuzt unseren Weg und verschwindet ohne Hast im Dickicht. Dann schimmert durch die Zweige das Hügelgrab und schemenhaft voran entdecken wir die Siedlung Neu Wustrow…. Zweifler, die im dunklen Wald Angst hatten, vom Wege abgekommen zu sein, übermannt nun ein großes Glücksgefühl. Wir gehen durch Neu Wustrow und gelangen auf die Landstraße, welche Wustrow und Siehdichum verbindet. Nun begegnen uns Radfahrer, die auf dem Tollenseseeradrundweg unterwegs sind und einige Autofahrer, die zur Ferienhaussiedlung nach Wustrow/von Wustrow fahren. Bis hier hin ging es tatsächlich nur durch die Natur; nun hat die Zivilisation uns wieder. Unverfehlbar, kurz vor Wustrow führt ein eingezäunter Pfad hinauf zum bronzezeitlichen Hügelgrab „Wendenkönig“. Wir erobern den Berg und schauen von hier oben in die weite, weite Ferne. Mit bloßem Auge gut zu erkennen ist das 11,5 Kilometer entfernte Neubrandenburg. Schauen sie ruhig mal nach Nordwesten! Entdecken sie in 3,2 km Entfernung die Grabpyramide des Joseph von Maltzahn? Viele Grundbesitzer und Adlige haben in den vergangenen Jahrhunderten die Landschaft gärtnerisch sehr großräumig durch Baumpflanzungen , Baumalleen und Gebäude bewusst gestaltet- es entstand ein harmonisches Landschaftsbild mit eindrucksvollen Sichtachsen, welches meiner Meinung nach zu den großen und schützenswerten Kulturgütern des Landes Mecklenburg-Vorpommern (MV) gehört. Horizontfüllende, hügelige Kulturlandschaften ,Felder, Wälder und Seen in ihrer unbändigen Natürlichkeit sind das Kapital unseres Bundeslandes, sind der Grund, weshalb MV ein bei Touristen äußerst beliebtes Urlauberland ist. Diese atemberaubende Landschaftsschönheit wird durch Windräder und Stromtrassen nach und nach unwiederbringlich zerstört. Irgendwie wollen wir von hier oben nicht mehr weg. Wir lassen nochmals unseren Weg visuell revue passieren. Mit viel Glück kann man von hier oben auch einen Seeadler erspähen, doch heute tut sich nichts. Dann gehen wir zum Auto zurück. Vorbei am alten Mühlenspeicher und vorbei am alten Gutshaus erreichen wir viel zu schnell den Ausgangspunkt unserer Wanderung. Selbst im Winter ohne Schnee haben wir viel gesehen und erlebten eine Menge- eine wirklich empfehlenswerte Wanderung, besonders im Frühlung.                                                                                          Kartenhinweis: Leider habe ich meinen GPS-Tracker zu spät ausgemacht und dadurch eine weite Strecke mit dem Auto zurückgelegt- bitte wandern Sie nur um die Ortslage Wustrow… und nicht bis nach Neuendorf!