Auf der Suche nach Meister Bockert

Das kleine Paradies am Neetzkaer See

Unsere heutige Wanderung starten wir am Wiesenparkplatz kurz vor dem Ortseingang von Neetzka. Es geht 1x komplett rund um den gesamten See. Nach wenigen Schritten und einer Klettertour über eine „Naturtreppe“ , von der vermutlich dreiste Diebe alle Stufen geklaut haben, sind wir auch schon am Uferstreifen angelangt. Wir überlegen kurz , wie rum…. und entscheiden uns für den Uhrzeigersinn. Jetzt nach der Schneeschmelze und vielen, vielen Regengüssen ist der Rundweg an vielen Stellen aufgeweicht, matschig und gefährlich rutschig- ich würde diese Wanderung also auf gar keinen Fall mit den guten 300 Dollar-Sonntags-Schuhen durchziehen…. oder der Wanderer wartet auf trockenere Tage. Schon auf den ersten Metern entdecken wir einige Uferbäume mit Biber- Bissspuren. Da der Wanderweg stets im Uferbereich verläuft, steigen Neugier, Spannung und Aufregung: Werden wir vielleicht die Biberburg entdecken oder sogar einen Biber in freier Natur beobachten können? Eine verfallene, aber immer noch gern besuchte Badestelle erinnert mit Terrasse und Zaun an vergangene, kulturelle DDR- Epochen. Parallel zur Kreisstraße 107 säumen teils geplünderte, teils verfallene, aber auch noch genutzte Bungalows die Böschung zum See. Ein bescheidenes Häuschen am See ist doch für viele Menschen ein Traum- hier ist er bröckelnde Realität. Dann, am Ende des Süwestufers, verlassen wir die letzten Zeichen der menschlichen Zivilisation. Wir konzentrieren uns nun auf Botanik, Vogelwelt und Biber- könnte da hinten im Schilf die verborgene Biberburg liegen? Zumindest scheint am Ufer kein Baum ohne Bissspuren zu sein. Jetzt im zeitigen Frühjahr reicht unser Blick tief ins Dickicht und in den Ufersaum, denn die Vegetationsperiode hat noch nicht begonnen. Tiere gibt es genug- Enten, Gänse, Fischreiher. Erstaunlich ist ihre sehr, sehr große Fluchtdistanz- wir kriegen einfach keinen Vogel im Fotoapparat scharf fokussiert- schon ist er weg. So wirft sich eine wichtige Frage auf, der sich jeder Naturliebhaber auf seiner Wanderung stellen muss: Durch eine phantastische Landschaft wandeln und den Augenblick genießen oder auf der Hatz nach bewegten Motiven und den Blick durch den Sucher der Kamera eigentlich gar nichts so richtig erleben und sehen ? Alles auf einmal geht nicht, ein Einblick auf die andere Seite schon- wir erreichen das Dorf Neetzka! Die erste Station ist der verlassene Bahnhof. Schade, schade, dass die Deutsche Bahn rein gar nichts investiert- im Bahnhof Neetzka verfällt alles. Selbst der Schienenstrang faltet sich im Wirken der Zeit. Dabei liegt Neetzka an der Bahnstrecke Schwerin-Neubrandenburg-Stettin. Einst war es die wirtschaftliche Hauptschlagader der Herzogtümer Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz zur Hauptstadt Pommerns. Obwohl die Regionalbahn stündlich pendelt, steigt in Neetzka keiner ein oder aus. Auch beim Blick auf den Fahrplan ( seit 2018 hält hier Mo-Fr. um 6:33 Uhr ein Bus) an der benachbarten Bushaltestelle wird schnell klar: Die Verkehrs- und Warenströme haben sich radikal verändert, die meisten Menschen fahren weder Bus noch Bahn. So verkümmert alles immer mehr; die von Lobbyisten gesteuerte Politik hat nur Windräder, die hier keiner haben will, als Antwort parat. Kommt man jedoch mit den Anwohnern ins Gespräch, so spürt man, dass aus dem versunkenen Paradies keiner weg will. Pferde und Schafe weiden auf saftigen Weiden, fast jeder Haushalt macht selber Holz und hat einen Angelkahn. Sogar der Union Jack weht auf einem Grundstück- auch Engländer leben in der Idylle am Neetzkaer See. Das Dorf Neetzka wird von riesigen Scheunen (Baujahr 1934 & 1935) geprägt. Neetzka hat ein Kulturhaus, ein frisch gestrichenes Bushaltestellenwartehäuschen, eine schöne Feldsteinkirche und eine große Bungalowsiedlung. Hier gehen wir einen Weg wieder hinab zum See. Am Ufer begeistert uns eine sehr gepflegte Badestelle mit Bänken, Feuerstelle und Räuberhütte. Nun ist es zu dem überragenden Naturdenkmal von Neetzka nicht mehr weit: Die Flatterulme von Neetzka ist laut Experten locker 400 Jahre alt. Sie überlebte den 30ig jährigen Krieg, den 1. und den 2. Weltkrieg, die Bodenreform, die Ölkrise in den 80ern und erlebte das Ende der Deutschen Teilung. Frevler haben Mauersteine und Müll in ihre Wunden und Asthöhlen geschmissen. Die Seeulme von Neetzka ist ein Naturdenkmal, das viel zu erzählen hat, ein lebendiger Schatz. Wir verweilen auf einer Bank unterhalb des Methusalems, schauen auf den See und lauschen dem Wind, der durch die Äste der Ulme fegt. Der Biber muss warten.