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Besuch auf der Fischerinsel

Wer löst den Gordischen Knoten im Tollensesee zwischen Denkmalschutz, Naturschutz und Tourismus ?

Frühgeschichtlicher Siedlungsraum, slawischer Tempel, Bodendenkmal, denkmalgeschütztes Fachwerkhaus und bedeutendes Naturschutzgebiet, verbunden mit einem völligen Betretungsverbot – das sind Fakten aber auch der große Mythos, der sich um die Fischerinsel rankt.

Vom Wustrower Ufer erblicken wir im Nebel der nahen Fischerinsel das alte Fachwerkhaus. Es wurde bis in die 1970er Jahre durch die Fischer Peters und die Fischereigenossenschaft als Unterkunft genutzt, danach wurde die Fischerhütte bis in die 1980er Jahre durch Hartmut Boeck bewohnt. Leider verfällt seit dem dieses Kleinod zunehmend. Im 18. Jahrhundert wurde durch Beschluss der Neubrandenburger Ratsherren ein Neubau der auch damals verfallenen 100 jährige Fischerhütte beauftragt. Als Lohn für den Bau des neuen Fischerhauses erhielt anno 1729 der Ratszimmermann Abraham Tröger 32 Reichstaler und zwei halbe Tonnen Bier. Viele Jahrhunderte vor dem Fischerhaus stand auf der Fischerinsel „castrum wustrow“ – eine befestigte slawische Burg. Sie war durch eine hölzerne Brücke mit dem nördlichen Festland verbunden. 1969 wurde im Sumpf der Fischerinsel bei Ausgrabungen ein doppelköpfiges eichenes Holzidol gefunden. Es steckte kopfüber in der Erde- jeder der Jungarchäologen stolperte über den hervor ragenden Holz- Knubbel, bis einer die Stolperstelle beseitigen wollte und dabei das Idol ans Tageslicht beförderte- die Sensation war perfekt! Nördlich der Fischerinsel, auf dem heute unter Wasser liegenden „Ruhrbarg“ vermutete Hartmut Boeck, der letzte Bewohner des Fischerhauses, den slawische Göttertempel Rethra. Selbst auf dem Luftbildfilm des aktuellen NDR-Berichtes entdeckt der sensible Beobachter eine rechteckige Struktur im Schilf (schauen Sie sich in Ruhe das Start-Standbild an). So wirklich weiß aber keiner, wo Rethra liegt. Die Fachwelt ist sich einig, dass Rethra im Bereich der Lieps oder des südlichen Tollensesees zu suchen sei. Der Vollständigkeit halber erwähnt viertorestadt.de, dass Rethra auch im Schweriner See, im Raum Ratzeburg oder bei Feldberg gesucht wurde. Rethra war im 1. Jahrtausend unserer Zeitrechnung das religiöse Heiligtum der Slawen im gesamten Norden. Der Tempel stand auf mächtigen Hörnern in einem tiefen See, welcher von einem undurchdringlichen, heiligen Wald umgeben war. Die Priester von Rethra einten Tollenser, Rhedarier und Ukranen im Lutitzenbund zu einer ungeschlagenen Militärmacht, die im Jahre 983 sogar Hamburg nieder brannte. Dieser Slawenaufstand, welcher nachweislich von Rethra ausging, stoppte die Deutschen Fürsten in Ihrer Christianisierungs- und Expansionspolitik für gute 200 Jahre. Rethra wurde danach 2 mal zerstört. Erst Pfingsten 1128 brachte Otto von Bamberg bei seiner 2. Missionsreise auf Usedom die pommerschen Slawen unter das Kreuz. Die Region um den Tollensesee hielt sich wacker gegen die Christianisierung Ihrer Bevölkerung. Die Gründung des Klosters Broda brachte der Kirche nicht den ersehnten Erfolg, obwohl der Einflussbereich im 13. Jahrhundert bis an die Müritz reichte. Schließlich schickten 1248 die Markgrafen von Brandenburg ihren Ritter Herbord von Raven in den Norden mit der Aufgabe, am Tollensesee eine neue Stadt zu gründen. Trotz der Stadtgründung hatten die hier ansässigen Slawen die Oberhand, denn der Mythos der Ruinen Rethras wirkte weiterhin. Alles änderte sich mit dem Bau der Neubrandenburger Vierrademühle. Durch Ihren Betrieb wurde der Tollensesee um ungefähr 150 cm angestaut und die Ruinen Rethras fanden ihr Ende in den tiefen Fluten des angestauten Tollensesees. Die Slawen verloren auf unblutige Weise die Reste Ihres Heiligtums und fügten sich im Laufe der Jahrhunderte Ihrem Schicksal. Das Wissen um Rethra verschlang die Zeit und keiner weiß mehr, wo Rethra nun wirklich lag. Bis zum heutigen Tage bleiben allerdings die Mythen und Legenden um den Tempelschatz lebendig. Die überlieferten Sagen von Rethra sind in den Dörfern um die Lieps noch heute allgegenwärtig.

Anlässlich des 775. Stadtjubiläums wurde über einen öffentlichen Zugang zur Fischerinsel nachgedacht und durch den OB Neubrandenburgs, Silvio Witt , beim Bürgerempfang am 4.01.2023 erwähnt. Das große öffentliche Interesse war enorm. Die Naturschutzbehörden wiegelten sofort alles ab und beharrten auf dem Betretungsverbot der Fischerinsel. Ob es nur laut ausgesprochene Gedanken, behördliche Planspiele zur Nutzungsmöglichkeit , oder die Berichterstattung des Nordkuriers waren, das ist im Grunde genommen nicht eindeutig zu klären: Der Druck durch die Öffentlichkeit wurde so groß, dass man eine Ausnahmeregelung für den November zwischen Stadt und Naturschutzbehörden aushandeln konnte. So durften 30 Bürger, die im Losverfahren ermittelt wurden, die Fischerinsel am 28.12.2023 besichtigen.

Ursprünglich war es geplant, mit einem Floß von Wustrow überzusetzen. Für den professionellen Fährbetrieb wurde Neubrandenburgs Bootsvermieter Nr.1, Tobias Winter (von der Bootsinsel) , beauftragt. Seine Tollensesee- Charter- Flotte reicht vom Wassertreter, über Motorboote verschiedener Klassen, bis hin zu großen Flößen. Es war geplant, jeweils 10 Personen auf einem Floß vom alten Hafen Wustrow zur Fischerinsel zu transportieren. Der Wasserstand am alten Hafen war jedoch zu gering, um gefahrlos und ohne Grundberührung mit einem großen Floß anlegen zu können. So mussten alle Planungen über den Haufen geworfen werden und ein robustes Aluminium-Boot kam zum Einsatz. Das allerdings konnte nur 5 Personen an Bord nehmen. Mit der ersten Tour setzten die Pressesprecherin der Stadt Neubrandenburg, Frau Seugling, der Denkmalpfleger Karsten Heilmann und Bodendenkmalpflegerin zur Fischerinsel über. Axel Griesau (ein Tausendsassa des BUND- die Öffentlichkeit kennt ihn als Seeschwalbeninselbauer) und sein junger Kollege Gordon Käbelmann von der Umweltschutzorganisation BUND kamen mit ihrem elektroangetriebenen Anka 4-Boot dazu. Gemeinsam betreuten sie die ankommenden Besucher, versorgten sie mit exklusiven Informationen, beantworteten Fragen und kümmerten sich sorgenvoll mit Heißgetränken und Gebäck um das Wohl der eintreffenden Gäste. Im Shuttle-Betrieb wurden jeweils 5 Gäste von Wustrow zur Fischerinsel gebracht und zugleich 5 Gäste abgeholt. Es war eisig kalt. Der einzige, dem nicht fröstelte, war Aluboot-Kapitän Winter: Beheizbare Schuhe, beheizbarer Angel-Tarnanzug und eine tief über die Augenbrauen gezogene Mütze stimmten ihn zufrieden und froh. „Eigentlich ist jetzt das beste Angelwetter- keiner stört einen und man hat seine Ruhe“, sagte Winter. Auf Nachfrage von viertorestadt.de, ob er das wirklich so meine, ging Herr Winter noch einen Schritt weiter: Obwohl Saisonruhe auf seiner Bootsinsel herrsche, habe er überhaupt kein Problem, auch Anfang Dezember für angelverrückte Petrijünger kurzfristig einen Angelkahn seetüchtig zu machen….. das ist mal eine Ansage!

Zur Insel setzten neben dem Nordkurier und dem NDR-Fernsehen noch so mancher Stadtpolitiker, vom Bürgermeister bis zum Fraktionsführer einer Neubrandenburger Ratsherrenpartei, aber auch Behördenmitarbeiter mit Parteibuch über. Vorgabe war, dass inclusive Presse und BUND wirklich nur 30 Personen am 28.11.2023 die Fischerinsel betreten durften. Somit konnten recht wenig normale Bürger mit Losglück die Fischerinsel überhaupt besichtigen. Rund 90 Bürger hatten sich nach Informationen von viertorestadt.de beworben, nur 12 Bürger hatten das Losglück auf ihrer Seite.  Andererseits konnten sich Behördenträger ein Bild vor Ort machen, um ihre zukünftigen parlamentarischen Entscheidungen rund um das Fischerhaus, rund um die Fischerinsel und rund um das NSG Nonnenhof ausgewogen zu treffen. Ganz unterschiedliche Interessen und Gesetzeslagen stoßen inmitten der Fischerinsel aufeinander. Da ist an erster Stelle der Naturschutz. Bund und Naturschutzbehörden pochen auf den höchsten Schutzstatus und ein völliges Betretungsverbot der Fischerinsel. Von 2011 bis 2019 zählte der BUND gut 88 Vogelarten innerhalb einer 500 Meter-Zone rund um die Fischerinsel, darunter viele Nordzügler. Seit einigen Jahren ist der Seeadler im Bereich der Lieps wieder heimisch. „ In diesem Jahr hat das Seeadlerpaar leider nur ein Kücken großziehen können“, sagte Axel Griesau. „Es ist eine Katastrophe, wenn der Seeadler durch Störungen aufgescheucht wird, sein Nest verlässt und das Gelege kalt wird. Ein Seeadler sieht alles, stürzt sich aus großen Höhen auf eine Maus und hat eine Fluchtdistanz von 500 Metern vor den Menschen.“ Viertorestadt.de wollte es genau wissen und fragte nach: „Es gibt Geschichten, dass der Seeadler auf der Fischerinsel sogar landete und neugierig aus 50 Metern Entfernung die Zimmermannsarbeiten zur Notsicherung des Fischerhausdaches beobachtete. Ist die Angst um den Fischadler nicht etwas überspitzt? “ „Das war im Winter“, erwiderte Axel Griesau, „in dieser Zeit muss sich der Seeadler nicht mehr um seine Brut kümmern. Wir als BUND möchten, dass das Fischerhaus von der Fischerinsel transloziert wird. Man könnte es ja auf der Bootsinsel für die Allgemeinheit wieder aufbauen.“ Nun kommt Karsten Heilmann zu Wort. Er ist Neubrandenburgs Denkmalschützer und damit auch zuständig für das Fischerhaus. Er setzt sich für den Erhalt des historischen Gebäudes ein und informiert die Besucher, was alles am Fischerhaus gebaut und gesichert wurde. Fotos von dem teilweise ersetzten Fachwerk im Inneren verdeutlichen sein gesprochenes Wort. Allerdings ist ein Zugang ins Innere des Fischerhauses am heutigen Besichtigungstag nicht möglich. Das ist nicht nicht nur schade, sondern ärgerlich. Wirklich jeder Besucher hätte gerne seinem Forscherdrang freien Lauf gelassen und wäre liebend gerne ins Fischerhaus vorgedrungen, doch mehr, als in ein dunkles Loch zu schauen, war nicht möglich. Die Tatsache , dass man nicht einen Schritt ins Fischerhaus machen konnte oder durfte, wirft nachweislich die Frage auf, in wie weit Standsicherheit und Begehbarkeit des Fischerhauses zum jetzigen Zeitpunkt wirklich vorhanden sind. Nicht ein Fenster, oder eine Tür wurde geöffnet. viertorestadt.de hat für Sie, geschätzter Leser, durch das dunkle Loch ein Foto gemacht. So können sich die Leser unserer Homepage wenigstens ein kleines Bild über das Innere des Fischerhauses machen- es zeigt eine einzige Katastrophe zwischen Verfall und Vandalismus. Das denkmalgeschützte Fischerhaus war und ist ein prägendes Element der Kulturlandschaft Tollensesee und ein historisches Zeugnis von 4 Jahrhunderten Fischereiwirtschaft. Insel und Haus gehören der Stadt Neubrandenburg. Obwohl das Haus seit 1986 Schutzstatus besaß, verfiel es zunehmend. 2006 erfolgte die letzte bauliche Sicherung. Im Januar 2018 begutachtete die Untere Denkmalschutzbehörde Neubrandenburg das Fischerhaus und stellte einen ruinösen Verfall amtlich fest. Ein kaputtes Dach und akute Einsturzgefährdung- ein Totalverlust drohte. Plötzlich war die Stadt Neubrandenburg gezwungen, als Eigentümer des Baudenkmals zu handeln. Die Stiftung Deutsche Denkmalschutz förderte die Notsicherung des Fischerhauses.Von Dezember 2020 bis zum Februar 2022 wurden die schweren Biberschwänze vom Dach geholt und dafür ein ziegelrotes Blechdach installiert. Zusätzlich wurde denkmalgerecht mit alten Werkzeugen im Inneren des Hauses Fachwerk ausgewechselt und ein stützendes Ständerwerk neu verbaut. Denkmalpfleger Karsten Heilmann zeigte sich ob der ausgeführten Arbeitsqualität von einer Neubrandenburger Zimmerei sehr zufrieden. Nachdem mit den Besuchern das Fischerhaus umrundet wurde, ging die Neubrandenburger Bodendenkmalpflegerin Christine Henning auf die slawische Siedlung „castrum wustrow“ und das auf der Insel gefundene Götzenidol ein. „Das Original befindet sich im Schweriner Landesmuseum, ein Replikat im Regionalmuseum Neubrandenburg“, erzählte Frau Henning. Interessant waren Ihre Rethra-Ausführungen mit den Reiseberichten von Thietmar von Merseburg und Adam von Bremen; imposant ein Bild vom Bacherswall. Viel zu schnell verging die Zeit auf der Fischerinsel… und was wird nun aus dem Fischerhaus? Es entbrannte eine heiße und gepflegte Diskussion über Vogelschutz, Denkmalschutz und dass auf einem Bodendenkmal überhaupt nicht gebaggert und gebuddelt werden darf. Jede Partei hatte ihre gesetzlich geltenden Argumente; dazwischen fanden die Meinungen und Ideen der wenigen Besucher irgendwie keinen Anklang. Es fehlt eine nachvollziehbare Erhaltungsperspektive des Fischerhauses durch ein von allen Parteien tragbares Nutzungskonzept. Darauf zielte auch das Schwarzbuch 2021/22(Seite 172) vom Bund der Steuerzahler Deutschland e.V. mit seiner Kritik ab. Andererseits ist die Fischerinsel nur ein kleiner Teil des 958 Hektar großen Naturschutzgebietes „Nonnenhof“. Nonnenhof wurde 1937 unter Schutz gestellt und ist somit eines der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands. In diesem Naturschutzgebiet wurde schon immer eine schonende landwirtschaftliche und fischereiliche Nutzung im Einklang mit der Natur betrieben. Traditionell wurde auch rund um die Fischerinsel Schilfrohr gewonnen, auf der Insel selbst wurde früher sogar Hopfen angebaut und die Fischer hatten einen kleinen Gemüsegarten. Jahrelang standen am Fischerhaus große Rheusenstangen und auf der Insel wurden im Winter die Wasser-Tonnen ( für die seerechtliche Absperrung des NSG) gelagert. Der Lebensraumkomplex Fischerinsel beinhaltete jedoch nicht nur Vögel, sondern durch die Bewirtschaftung auch eine komplexe Flora und Fauna. Schaut man sich heute die Insel genauer an, so sieht man nur undurchdringbares Dickicht mit Schwarzerlen, Eschen und Weiden.

Viertorestadt.de fragte nochmals nach: „ Am gegenüber liegenden Ufer, in Nonnenhof, wurde der seit Ewigkeiten existierende Naturparkplatz abgesperrt, Pflöcke eingeschlagen und Verbotsschilder aufgehangen. Stehen diese Baumaßnahmen im Einklang mit dem NSG „Nonnenhof“ und wird Naturliebhabern und Wanderern durch diese vorgenommene Absperrung nicht der Zugang zum Naturlehrpfad verwehrt; worin besteht der Unterschied zu Baumaßnahmen auf der Fischerinsel ? Axel Griesau antwortete: „ Die Grundstücke gehören nicht der Stadt Neubrandenburg ( sie gehören zur Gemeinde Groß Nemerow ) und wurden privatisiert.“ In diesem Moment legte das Motorboot an und holte die letzten 5 Besucher ab. Wir schipperten um den Nordteil der Fischerinsel einen großen Bogen, statt dicht am Schilfgürtel zu fahren. Kapitän Winter zeigte mit seiner in einen dicken Handschuh eingemummelte Hand in das klare Wasser auf den Seegrund. “Hier ist es extrem flach. Deshalb passieren in diesem Revier die meisten Bootsunfälle durch Grundberührung.“

Was ist nun die Quintessenz vom Fischerinsel-Besuch? Unsere gegenwärtigen Ratsherren sollten sich dem Vermächtnis unserer Vorfahren annehmen! Die Stadt Neubrandenburg nimmt Naturschutz und Denkmalschutz sehr ernst und hat zugleich Wort gehalten, dass ihre Bürger die Fischerinsel besichtigen dürfen. Das Fischerhaus soll erlebbar bleiben, wenn auch nur aus der Ferne.

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