Die Neubrandenburger Panzergrenadierbrigade 41 öffnete für interessierte Besucher die Kasernentore
14.09.2025: Knapp 20 interessierte Besucher kamen am Tag des offenen Denkmals 2025 den Weg am Hang hinauf, um nach Geschichtsspuren unterschiedlicher Epochen auf dem Gelände der Tollense- Kaserne Ausschau zu halten.
Nach Erledigung der strengen Zugangskontroll- Modalitäten wurden die Besucher von zwei hochrangigen Bundeswehr- Offizieren herzlich begrüßt. Gemeinsam tauchte man in die breit gefächerte Neubrandenburger Militärgeschichte ein.
Neubrandenburg war bis zur Machtergreifung im Jahre 1933 eine unbedeutende Ackerbürgerstadt mit ca. 12- 15.000 Einwohnern. Danach nahm Neubrandenburg eine rasante militär-industrielle Entwicklung- die Heber-Werke ( Bomben-Abwurf und Zielgeräte) und die Rinker- Werke (Handgranaten, Holzkisten) entstanden. 1934 war Baubeginn des Flugplatzes Trollenhagen. 1938 begannen schließlich die Bauarbeiten für die Kaserne am Hang. Die Bauarbeiten wurden im Rekordtempo ausgeführt, so dass schon ein Jahr später (1939) die gesamte Kaserne fertig gestellt war. Vergleicht man die damalige Bauleistungen mit gegenwärtigen Sanierungsarbeiten ( z.B. wurde das Gebäude 2 von 2017- 2020 saniert), so fragt man sich schon: Wie haben die Bauarbeiter das damals angestellt, oder sind unsere jetzigen Handwerker mit ihren modernen Gerätschaften dazu nicht mehr in der Lage?…. Man muss natürlich zur Verteidigung der Handwerkerehre erwähnen, dass heute sehr viel mehr Technik in einem Kasernenblock verbaut wird- das geht über wärmeisolierte Fenster und Türen, moderne Heizungstechnik, Elektrotechnik, Strom- und Wasserversorgung bis hin zur IT- Technik in ein sehr breites Feld. Hinzu kommen unendlich viele Bauvorschriften.
Damals, so sieht man es auf historischen Fotos, war die Gegend völlig unbewaldet – die fünf Kasernenblöcke thronten wie eine Burg über der Stadt.
Die Thematik des Tollense-Kasernenstandortes und die Verkaufsmodalitäten des Gutes Fünfeichen wurde angesprochen: Kasernen baute man damals wie auch heute meist auf unfruchtbares, „wertloses“ Land. Es könnte durchaus möglich sein, dass Olga von Maltzahn, die damalige Besitzerin des Gutes Fünfeichen, nicht auf Grund ihrer jüdischer Abstammung zum Verkauf gezwungen wurde, sondern dass wirtschaftliche Aspekte die tragende Rolle beim Verkauf des landwirtschaftlichen Gutes spielten. Geologisch gesehen steht die Tollense- Kaserne auf einer 2 Meter dicken Sandschicht- hier waren dementsprechend die Erträge durch Kartoffeln und Getreide gering. Eine Besucherin ergänzte, dass tatsächlich nach ihrer gründlichen Recherche in den Archiven keine Unterlagen über einen Zwangsverkauf zu finden sind. Das damalige Gut Fünfeichen war sehr groß. Es reichte von der nördlichen Bergkuppe bis in den Süden zur Landwehr und erstreckte sich vom Mühlenholz bis zur jetzigen Bundesstraße 96.
Die Kaserne selbst ist gemäß der damaligen Heeresbauverordnung eine völlig untypische Bauweise.
Normalerweise wurden Kasernen kompakt mit einem zentralen Exerzierplatz gebaut. In Neubrandenburg wurden die 5 Mannschaftsgebäude in Reihe gebaut. Gegenüber den Mannschaftsgebäuden wurden in U-Form links und rechts 2 kleine Hallen mit einer abschließenden großen Halle gebaut. Ob nun für die gesamte Kaserne, oder vor den 5 Mannschaftsgebäuden- es bleibt ein großes Rätsel, warum die Kaserne keinen Exerzierplatz hatte. Ursprünglich wurde die Kaserne am Hang für ein mechanisiertes Regiment gebaut. Mit der Fertigstellung der Kaserne zogen jedoch die Landschützenbattallione 261 und 262 ein. Landschützen, das waren überwiegend Männer über 35 Jahre und oftmals auch Männer, die nicht mehr 100 %ig wehrdiensttauglich waren.
Sie hatten keine schwere Bewaffnung. Ihre Aufgabe in Neubrandenburg wurde mit Beginn des 2. Weltkrieges die Bewachung von Kriegsgefangenen, Arbeitskommandos im Raum Neubrandenburg und die Bewachung des Kriegsgefangenenlagers Fünfeichen.
In der Kaserne am Hang wurde auch ein Panzerausbildungsregiment stationiert, weshalb die Kaserne im Volksmund auch „Panzerkaserne“ genannt wurde. In den Archiven der Wehrmacht und der Bundeswehr finden sich bisher jedoch keine konkreten Belege für die Existenz eines Panzerausbildungsregimentes, so erzählte es uns der begleitende Bundeswehr- Offizier. Er vermutet eher eine Panzerausbildungskompanie (ungefähre Mannschaftsstärke betrug 50 Soldaten). So könnte man es plausibel erklären, dass die vielen Panzerschüler in einem der 5 Mannschaftsgebäude beherbergt wurden. Rein zahlentechnisch hätte die Kapazität der 5 Mannschaftsgebäude inclusive der Landschützenbattallione nämlich nicht für alle ausgereicht. Wenn Sie, geehrter viertorestadt.de- Leser, bezüglich des Panzerregimentes Zeitzeugen kennen oder über Dokumente verfügen, dann kontaktieren Sie gerne die Tollense- Kaserne.
Zurück zu den Mannschaftsgebäuden. Sie stehen wie alle Backsteingebäude der Tollense-Kaserne unter Denkmalschutz und werden derzeit aufwendig rekonstruiert. In den Mannschaftsgebäuden (Haus 1-5) gab es 1939 jeweils 3 Dienstwohnungen für Offiziere. Der separate Eingang befand sich an der südlichen Giebelseite der Häuser. Die Mauerlichte der Eingangstüren zu den einzelnen Einliegerwohnungen im Gebäude waren eckick, während alle anderen Türen im Mannschaftsgebäude abgerundete Mauerlichte besitzen. Bei allen 5 Mannschaftsgebäuden sind Rautenmuster im Ziegelverbund deutlich sichtbar. Früher hatten die Dächer unzählige Gauben. Während der über 85-jährigen Nutzung der Kaserne durch verschiedene Armeen und bei diversen Umbaumaßnahmen verschwanden die Dachgauben. Einige blieben erhalten- in ihnen haben Falken ihr Nest gebaut.
Im Grunde genommen alles, was in der Tollense- Kaserne aus Ziegelsteinen gebaut wurde, steht heute unter Denkmalschutz. Vermutlich wegen zusätzlich beantragter Fördergelder werden im Rahmen der aktuellen Modernisierungsarbeiten viele Gebäudedetails sehr kosten- und zeitintensiv wieder in ihren Originalzustand zurück versetzt- Dachziegel werden gegen bräunlich-grüne Biberschwänze ausgetauscht und zahlreiche Dachgauben entstehen neu. Selbst über eine Reaktivierung einiger Anliegerwohnungen gibt es seitens der Bundeswehr Gedankenspiele, denn so zieht Familienleben der Offiziere in die Tollense- Kaserne ein. An dieser Stelle wird vom Bundeswehr- Offizier das Thema Versetzung beleuchtet. Ist es nicht auch in großen Konzernen in den Führungsetagen genau so üblich wie bei der Bundeswehr, alle 2-4 Jahre einen neuen Posten an einem anderen Ort zu bekleiden, um die Karriereleiter empor zu kommen und gleichzeitig das Unternehmen mit all seinen Facetten kennen zu lernen?
Inzwischen gelangt die Besuchergruppe über das noch erhaltene, originale Kopfsteinpflasterstraßensystem bei den Kraftfahzeughallen an- links eine völlig entkernte Halle, rechts eine komplett sanierte Halle und an der Kopfseite eine große Halle, an der gerade Putz entfernt wird, so dass der originale Backsteinverband ans Tageslicht kommt. Als Besucher bekommt man so visuell und ohne viele Worte einen guten Einblick, was alles im Rahmen der denkmalgerechten Sanierungsarbeiten an den Hallen gemacht wird. Kyrillische Spruchbänder werden sichtbar, das für Wehrmacht- Kasernen einmalige Lichtband über den Hallentoren erstrahlt wieder neu und besonders stolz ist man auf noch vorhandene originale Kettenabweiser (riesige gegossene Betonklötze links und rechts der Hallentore die verhinderten, dass schwere Kettentechnik beim Ein- und Ausfahren die Hallen beschädigten).
Im Truppenausbildungszentrum zeigten die Offiziere den Besuchern historische Kasernen- Fotos aus verschiedenen Epochen. Das Truppenausbildungszentrum ist ein DDR-Bau mit einer erwähnenswerten Besonderheit: In lichter Höhe befindet sich ein riesiger, absenkbarer Sandkasten, auf dem die NVA- Generalität ihre Truppen in simulierten Gefechtssituationen aufmarschieren und gruppieren ließen.
Durch die gezeigten historischen Bilder gut vermittelt, taucht die Besuchergruppe in die Kriegsgefangenen- Historie der Kaserne ein:
1940 wurden belgische Offiziere interniert, vom Februar 1941 bis 1944 lebten 2500 Polnische Offiziere im Kriegsgefangnenlager. Sie wurden vom Lager Prenzlau nach Neubrandenburg verlegt (1944 wurden die polnischen Offiziere nach Hinterpommern verlegt), hinzu kamen im Kriegsverlauf englische, amerikanische und französische Offiziere.
Das Offiziers- Kriegsgefangenenlager Oflag II E wurde in den 10 kleinen Fahrzeughallen vom September 1940 bis 1944 betrieben. 7 Hallen dienten als spartanische Offiziers- Unterkunft, eine Halle war Kultur-Halle und in einer Halle waren die Ordonnanzen unter gebracht. Die 10 Hallen wurden durch einen 3- Fach Stacheldrahtzaun (ohne Strom) von den Mannschaftsgebäuden und den fünf großen Fahrzeughallen abgegrenzt. Im Winter konnten die Hallen mit den vorhandenen Kanonenöfen nur spartanisch beheizt werden, so dass nie zweistellige Temperaturen erreicht wurden. Hinzu kamen große Defizite bei der Ernährungsversorgung. Eine tragende Rolle zur Sicherung der Existenz bekleidete das Rote Kreuz – mit Versorgungskonvois oder sogar durch einen Abwurf von einem britischen Lancaster- Bomber über der Neubrandenburger Kaserne wurde der Hungertod verhindert. Trotz aller Kriegswirren und Feindschaften fuhr und flog das internationale Rote Kreuz (Schweden, England) unbehelligt durch das Deutsche Reich und wurde nie beschossen.
Die internierten Offiziere wurden nicht zur Arbeit gezwungen und konnten sich während ihrer Internierungszeit weiter bilden- sie lernten Fremdsprachen oder waren am Ende des Krieges sogar ausgebildete Kraftfahrzeugschlosser.
Mit Kriegsende entstand auf dem Gelände der Kaserne ein Repatriierungslager – 20.000 Menschen warteten ohne Strom, ohne Wasser, ohne funktionierende Sanitäranlagen und ohne Nahrungsmittel auf die Rückführung in ihre Heimatländer.
Von 1945 bis 1952, Teile bis 1956 ( davon zeugen kiryllische Einritzungen im Eingangsbereich der Tollense Kaserne) nutzte die Rote Armee die Kaserne. 1952 wurde die neu gebildete kasernierte Volkspolizei (KVP) aus Pasewalk in die Neubrandenburger Kaserne verlegt. Am 18.01.1956 wurde die Nationale Volksarmee (NVA) gegründet. Sie löste die KVP ab und übernahm das bestehende Waffenarsenal. Von 1956- 1990 war in der Neubrandenburger „Hans Arno Ecklemann Kaserne“ der NVA Militärbezirk V stationiert. Im Mobilmachungsfall bzw. im Kriegsfall wäre die 5. Armee (9. Panzerdivision, 1.Motschützendivision und 8.Motschützendivision) als mobiler Strang und Alt Rehse als territorialer Strang (Feldführung)gebildet worden. Der MB V- General, so erzählte es ein Besucher, der im MB V diente, hatte seinen Stab im Haus 4, seit 1971 im neu erbauten Haus 8. Von den insgesamt 8 aufeinander folgenden MB V- Befehlshabern ist älteren Neubrandenburgern Generalmajor Horst Stechbarth häufig noch ein Begriff. H. Stechbarth avancierte im Laufe seiner Militärkarriere zum stellvertretenden Verteidigungsminister der DDR.
Mit dem Ende der Deutschen Teilung wurden am 2.10.1990 die DDR-Flaggen eingeholt und am 3.10.1990 die Bundesdeutsche Flagge mit dem Bundesadler gehisst. Oberst Hans-Peter von Kirchbach wird Kommandeur der 14. Panzergernadierdivision WBK8 (Sitz der Brigade ist damals noch Eggesin). Heute haben der Stab und die Stabskompanie der Panzergrenadierbrigade 41 ihren Sitz in der Neubrandenburger Tollense- Kaserne.
Nach dem intensiven Eintauchen in Geschichte, Tradition und Erinnerung geht die Besichtigungstour einige Meter weiter zum Casino. Das Casino ist eins von 2 flankierenden Wirtschaftsgebäuden, die den Anfang und das Ende der Kaserne bilden. Schaut man auf die Gebäudefront, so erahnt man ein Schimmern unter den übertünchten Backsteinen- zu Zeiten des 3.Reiches waren hier Propaganda- und Durchhalteparolen wie „Freiheit oder Sibirien“ angemalt. Deutlich zu erkennen sind dagegen kiryllische Einkratzungen von Sowjetsoldaten. Das alles gehört in die Geschichte der Tollense- Kaserne. Völlig unpolitisch beleuchtete der begleitende Bundeswehroffizier auch das nicht weit entfernte Soldatendenkmal von 1979. Zwei Soldaten- ein NVA-Soldat und ein Sowjetischer Soldat (oder ist es ein sowjetischer Offizier?) voran- springen mit ihrer Waffe über ein Hindernis. Die Skulptur hat im politischen Umbruch der 90er Jahre Bilderstürmerei und Entsorgung überstanden, der Sockel wurde vor kurzem rekonstruiert. Fanatische Kritiker meinen jedoch, man könne doch so etwas russisches im Angesicht des Ukraine-Russland- Konfliktes nicht in der Kaserne belassen und zur Schau stellen!… und dagegen stellt sich die unpolitische Meinung des Bundeswehroffiziers mit einem klaren Nein, denn in der damaligen Sowjetarmee dienten Ukrainer, Litauer, Russen, Usbeken oder auch Mongolen. Das Denkmal ist ein militärhistorischer Zeitzeuge und sollte auch so gesehen werden. Unter den 20 Besuchern entfachte sich eine weitere heiße Diskussion: Deutlich sind zwar der Sowjetsoldat und der NVA- Soldat am Stahlhelm und dem tragen der Hose (NVA trägt Hose über den Stiefeln, Sowjetsoldat trägt Hose in den Stiefeln) zu unterscheiden, doch ist es tatsächlich ein Sowjetsoldat, oder weil er eine Reiterhose an hat, vielleicht doch ein sowjetischer Offizier? Auch die Größe der Patronentasche stimme bei keinem der beiden Soldatenskulpturen…. unter so viel Expertise musste dann auch der uns begleitende Bundeswehroffizier mit einem verschmitzten Lächeln passen.
Die nächste Station unserer Besichtigungstour war das Wandrelief
„Darstellung des humanistischen Charakters der Nationalen Volksarmee“. Das Relief wurde am 26.11.1973 über dem Eingang von Haus 8 angebracht. Doch auch bei intensiver Betrachtung konnte keiner der 20 Besucher einen Zusammenhang zum Militär herstellen- das Relief zeigt Männer, Frauen und Arbeiter. Ist es vielleicht ein künstlerischer Fingerzeig auf das erwünschte Verhältnis von Staat, Militär und Bevölkerung in der ehemaligen DDR?
Für viele Besucher war die Existenz eines Lazarettfriedofes unbekannt. Den zeigte uns der Bundeswehroffizier und erzählte die Geschichte dazu: Im März 1945 zog ein Wehrmachtlazarett bis Juni 1945 in die Kaserne ein. In dieser Zeit verstarben zwei Zivilisten und 49 Soldaten. Ihre sterblichen Überreste fanden hier die letzte Ruhestätte. Während der NVA-Zeit wurde das ca.800 m² große Gräberfeld sich selbst überlassen. In den Jahren 1997- 1998 wurde der Lazarettfriedhof neu gestaltet, eingefriedet, Granitkreuze aufgestellt und zur Erinnerung an die Verstorbenen im zentralen Eingangsbereich Namenstafeln installiert. Doch in den weiteren Jahren verkümmerte die Anlage erneut. Seit 2019 übernahm deshalb die Bundeswehr eine Patenschaft für den Lazarettfriedhof und installierte zusätzlich einen Gedenkstein für die Gefallenen Soldaten bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr mit der Inschrift „Unseren toten Kameraden- Panzergrenadierbrigade 41 Vorpommern“.
Auf dem Rückweg wurde dann den Besuchern ein flüchtiger Blick in ein Treppenhaus eines Mannschaftsblockes gewährt und auf den Handlauf hingewiesen- der besteht nicht aus Holz, sondern wurde aus schwarzem Basaltgestein vom Steinmetz geformt und hat alle Zeitenwenden überdauert.